Wandel

Geschlechterge­rechte 
Sprache

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»Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.« Diese Feststellung Wittgensteins ist heute noch so gültig wie vor 100 Jahren. Immer noch prägen gesellschaftliche Wertvorstellungen, Hierarchien und Rollenbilder unsere Sprache und dadurch auch unser Bewusstsein. Die überwiegende Mehrheit ist sich einig, dass die Gleichstellung der Geschlechter nicht verhandelbar ist. Dennoch ist die sprachliche Abbildung von Frauen und nicht-binären Personen immer noch ein kontrovers diskutiertes Thema.

Studien zeigen, dass die meisten Menschen sich unter dem generischen Maskulin vor allem eines vorstellen – Männer. Sprache ist also nicht neutral, sondern ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Sie bestimmt grundlegend, wie wir denken und handeln. Eine geschlechtergerechtere Sprache kann uns z.B. dabei helfen, Rollenbilder in Frage zu stellen und die Sichtbarkeit von Frauen und nicht-binären Menschen zu erhöhen – und damit auch die Chancen auf eine lückenlose Gleichstellung.

In unserem Animations film zeigen wir euch drei Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu schreiben und zu sprechen. Dabei geht es uns vor allem darum, für das Thema Sprache zu sensibilisieren und konkrete Vorschläge für einen inklusiven Sprachgebrauch zu machen.

Interview zur geschlechtergerechten Sprache

mit Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch, Linguistikprofessor an der Freien Universität Berlin und Autor des Buches „Eine Frage der Moral – Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“

Ist Sprache unschuldig bzw. neutral?

Sprache ist nie direktes Abbild der Wirklichkeit, sondern bezieht immer unsere Perspektive auf die Welt ein. Bei Wörtern, die unsere natürliche Umwelt beschreiben, kann das unschuldig sein – unterschiedliche Sprachen teilen zum Beispiel den Farbraum auf unterschiedliche Weise auf, sie tun das aber immer innerhalb der Rahmenbedingungen, die durch das menschliche Auge und Gehirn vorgegeben sind. Der größte Teil unserer Umwelt ist aber von uns selbst geschaffen – gesellschaftliche Wertvorstellungen, Hierarchien und Rollenbilder, Rechte und Pflichten von Individuen und Gruppen, ja, häufig die Gruppen selbst und die Kriterien der Gruppenzugehörigkeit sind kulturspezifische menschliche Konstrukte, die durch Wörter und grammatische Strukturen nicht beschrieben, sondern überhaupt erst erzeugt und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sprache kann also unmöglich neutral sein.

Warum ist geschlechtergerechte Sprache eine Frage der Moral?

Das Deutsche hat sich einige hundert Jahre lang in einer gesellschaftlichen Situation entwickelt, in der die Menschen ganz selbstverständlich in Männer und Frauen aufgeteilt waren und in der der Mann den gesellschaftlichen Normalfall darstellte – er war Bürger, Wähler, Kaufmann, Soldat, Professor oder Handwerker, die Frau war auf die häusliche Sphäre beschränkt, sodass entsprechende weibliche Bezeichnungen selten gebraucht wurden. Ein Sprachgebrauch, in dem wir auch über gemischte Gruppen oder abstrakte Kategorien von Personen so reden, als bestünden sie ausschließlich aus Männern – und nichts anderes ist das sogenannte „generische Maskulinum“ ja –, mag da vielen (auch Frauen) normal erschienen sein. Heute leben wir in einer Gesellschaft, in der wir uns im Prinzip einig sind, dass Männer und Frauen gleichwertig sind, und da wir Männer es uns kaum gefallen lassen würden, uns mit weiblichen Formen ansprechen zu lassen, können wir es nicht länger rechtfertigen, das den uns gleichwertigen Frauen zuzumuten. In jüngerer Zeit melden sich nun auch Menschen verstärkt zu Wort, die sich weder als Männer noch als Frauen kategorisieren können oder wollen, und die ebenfalls sprachliche Sichtbarkeit einfordern. Auch hier gilt grundsätzlich, dass Männer und Frauen, die auf ihre eigene sprachliche Sichtbarkeit bestehen, dies auch dieser Gruppe zugestehen müssen.

Die Vorwürfe gegenüber der Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache reichen von Verhunzung der deutschen Sprache über Zensur, Sprechverbote und „Cancel Culture“ bis hin zu „Genderwahnsinn“ und „Gender-Gaga“. Unsere Sprache scheint zu einem regelrechten kulturellen Kampfplatz geworden zu sein. Warum ist sprachlich zum Ausdruck gebrachte Fairness so ein Aufreger?

Für viele dürften die neuen Formen des Sprachgebrauchs einfach ungewohnt und damit wie alles Neue etwas irritierend sein. Das ist normal, wir erleben im Bereich Gender derzeit einen zwar eigentlich nicht sehr tiefgreifenden, aber dafür recht schnellen Wandel, den wir natürlich für uns verarbeiten müssen. Aber bestimmte Personen und politische Strömungen instrumentalisieren diese Irritation für ideologische Zwecke, etwa, um über den Umweg der Sprachkritik auf traditionellen Geschlechterhierarchien und Rollenbildern zu beharren.

Gegner:innen des Genderns sagen, eine vermeintlich gerechtere Sprache schaffe noch keine Gleichstellung in der Realität. Wie stehen Sie zu dem Vorwurf an diejenigen, die sich für geschlechtergerechte Sprache einsetzen, dass es wirklich Wichtigeres gebe und prioritäre Anliegen der Gleichstellungspolitik dadurch aus dem Blick gerieten? 

Eine gerechte Sprache schafft erst einmal ein Bewusstsein dafür, wo es mit der Gleichstellung noch hapert – erst, wenn wir eine Gruppe sprachlich sichtbar machen, können wir über ihre Gleichstellung diskutieren. Eine der Pionierinnen der feministischen Linguistik, Marlies Hellinger, hat in einem Aufsatz 1994 ein schönes Beispiel dafür gegeben: In dem wir das Wort Generälin bilden, machen wir es denkbar, dass eine Frau diese Position ausfüllen könnte – was zu diesem Zeitpunkt noch nie der Fall gewesen war (die erste Frau im Rang eines Generals wurde im Jahr des Erscheinens dieses Aufsatzes Verena von Weyrmann). Aus Forschungen meiner Kollegin Bettina Hannover wissen wir auch, dass Mädchen und junge Frauen sich einen Job weniger wahrscheinlich zutrauen, wenn die Stellenanzeige das sogenannte „generische Maskulinum“ verwendet. Sprache ist also kein Beiwerk oder Nachgedanke, sondern integraler Bestandteil jeder Gleichstellungspolitik.

Von den Gegner:innen des sprachlichen Genderns wird oft behauptet, dieses sei nicht Ausdruck einer natürlichen Sprachentwicklung, sondern ein gesellschaftspolitisches Projekt einer kleinen elitären Minderheit zumeist aus dem universitären Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. In Deutschland gebe es auch keine Mehrheit in der Bevölkerung für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Zudem leide dadurch die Verständlichkeit von Texten, wodurch wiederum viele Menschen ausgeschlossen würden. Warum sollten wir trotzdem geschlechtergerecht formulieren?

Der Vorwurf des Elitären ist ja ein beliebter populistischer Taschenspielertrick, er hat aber im Falle der geschlechtergerechten Sprache keine Grundlage in der Realität. Die Formen des Genderns, über die wir heute reden, haben sich seit den 1980er Jahren immer vorrangig in den Kreisen Betroffener entwickelt. Viele Pionierinnen der ersten Stunde – etwa Luise Pusch und Senta Trömel-Plötz – hat ihre Arbeit tatsächlich ihre akademische Karriere gekostet. Ob es eine gesellschaftliche Mehrheit für einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch gibt, sei dahingestellt. Die existierenden Meinungsumfragen sind häufig ungenau oder sogar tendenziös formuliert und deshalb wenig ergiebig. Es ist aber auch egal, denn über Fragen der Gerechtigkeit stimmt nicht die Mehrheit ab.

Letztes Jahr im September legte Justizministerin Lambrecht einen Gesetzentwurf zum Insolvenzrecht vor, der überwiegend im generischen Femininum verfasst war. Das führte zu heftiger Empörung in Teilen der Öffentlichkeit. Seit Petra Gerster die heute-Nachrichten mit Glottisschlag moderiert, erhält das ZDF entrüstete Zuschauerreaktionen. Warum ist dieses Thema so emotionsgeladen? 

Der Gesetzesentwurf ist ein schönes Beispiel für die von mir vorgeschlagene sprachliche goldene Regel: Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie du an ihrer Stelle nicht dargestellt werden wolltest. Dass die Männer sich über den Entwurf so aufgeregt haben, ist ja eigentlich richtig – sie haben ein Recht auf sprachliche Sichtbarkeit. Leider haben die meisten von Ihnen den Umkehrschluss nicht hinbekommen – dass das auch für Frauen und nicht-binäre Personen gilt und die vielen hundert Gesetzestexte im generischen Maskulinum genauso empörend sind. Es tut halt weh, auf lieb gewordene und lange als selbstverständlich hingenommene Privilegien zu verzichten oder auch nur darauf hingewiesen zu werden – da kann man (bzw. Mann) schon mal wütend werden. Aber da muss man durch…

Es gibt ja auch Stimmen – durchaus auch aus dem feministischen Meinungsspektrum – die eine gegenderte Sprache deshalb ablehnen, weil sie Frauen stets als solche markiere, Gendern sei daher sexistisch. Wie stehen sie zu dieser Kritik?

Dieses Problem ist in der feministischen Linguistik auch von den Befürwortenden von Anfang an mitgedacht worden, aber es lässt sich nicht ohne Weiteres lösen. Bis sich geschlechtsneutrale Formen (wie Studierende) oder zumindest in ihrer Absicht geschlechtsinkludierende Formen (wie Student*innen) durchsetzen, wäre die Alternative, alle Menschen immer als Männer zu markieren und den Mythos des Männlichen als Normalfall weiter zu bedienen.

Welche Art des Genderns – Doppelnennungen, neutrale Schreibweisen, Binnen-I, Gender-Gap, Gendersternchen, Doppelpunkt – bevorzugen Sie persönlich?

Ich halte eine gewisse Vielfalt für gut und richtig, bis sich eine oder mehrere Formen auf breiter Ebene durchsetzen. Geschlechtsneutrale Formen (wie die eben erwähnten Partizipien) erscheinen mir langfristig am vielversprechendsten, aber auch das Binnen-I oder den Unterstrich finde ich in entsprechenden Zusammenhängen sinnvoll. Das Gendersternchen hat derzeit sicher die besten Aussichten, zu einer Art amtlich geduldeter Standardlösung zu werden – wenn das so käme, würde ich es in Situationen, in denen Standardisierung wichtig ist, so wohlwollend (wenn auch etwas leidenschaftslos) verwenden, wie ich es mit dem Komma oder dem „ß“ tue. 

Gendern Sie auch beim Sprechen?

Ja, die gesprochene Genderlücke finde ich sehr elegant – es gibt sie schon seit den 1980er Jahren als Aussprache des Binnen-I, sie vereinheitlicht also all die unterschiedlichen orthografischen Formen unter einem lautlichen Dach. Ich verwende allerdings auch oft das generische Femininum, einfach, weil der überwältigende Teil meiner Studierenden weiblich ist.

Ziehen Sie Studierenden, wenn diese in ihren schriftlichen Arbeiten nicht gendern, Notenpunkte ab? 

Nein, an meiner Universität gibt es – wie an den meisten Universitäten – keine solche Regelung, und ich habe ohnehin Besseres zu tun, als die konservative Fiktion einer Sprachpolizei nachzuspielen. Ich erkläre den Studierenden, wenn sie es nicht ohnehin schon wissen, wo die Probleme des generischen Maskulinums liegen und überlasse den Rest ihrem Gewissen. Angemessen fände ich einen solchen Punktabzug aber dort, wo das Gendern selbst Lerninhalt ist oder in Fächern, in denen ein inklusives Menschenbild Grundvoraussetzung ist (etwa in bestimmten Bereichen der Pädagogik). Auch hier sollten aber keine bestimmten Formen vorgeschrieben werden, solange sich kein Standard herausgebildet hat.

Sollte der öffentliche Dienst auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten und diskriminierungsfreien Sprache eine Vorbildrolle übernehmen?

Er ist ja dem Grundgesetz verpflichtet und darf niemanden aufgrund des Geschlechts diskriminieren, und das Verfassungsgericht hat mit dem Beschluss zum dritten Geschlechtseintrag klar gemacht, dass das Diskriminierungsverbot eben nicht nur für Männer und Frauen gilt. Dass dasselbe Verfassungsgericht (noch) nicht versteht, dass das Maskulinum nicht geschlechtsneutral ist, ist bedauerlich, aber es bietet dem öffentlichen Dienst die Gelegenheit, klüger und inklusiver zu sein als das oberste deutsche Gericht. Eine einmalige Chance, die aktiv genutzt werden sollte!

Das Interview führte Annette Ludwig, Gleichstellungsbüro

Bis zu den Gendersternchen und noch viel weiter.

Um die Theorie in eine allgemeine Praxis zu verwandeln, haben wir einen Leitfaden erstellt. Darin findet ihr Empfehlungen für eine geschlechtergerechte Sprache vom gesprochenen Wort bis hin zur E-Mail-Signatur. Außerdem haben wir euch ein paar Argumente für Gendersternchen und Co. zusammengetragen, die ihr bei der nächsten Diskussion über den Sinn oder Unsinn von geschlechtersensiblem Sprachgebrauch anbringen könnt.

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Weitere Informationen

Artikel auf der Blogseite bobblume.de
Who runs the world? Girls! Wenn es nach uns geht schon, denn Schülerin Nina bringt in ihrem Artikel ihre Gedanken zum Thema Gendern ziemlich gut auf den (Doppel)-Punkt, aber lest selbst.

Studie der FU Berlin
»Wenn ich groß bin, will ich Diplomatin werden!« Eine Studie der Freien Universität Berlin untersucht, wie eine geschlechtergerechte Sprache die kindliche Wahrnehmung von Berufen prägt.

#zeichensetzen
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