Die tägliche Dosis Ungleichheit
Sexismus begleitet unser aller Leben als eine Art »Grundrauschen«. Manchmal tritt er ganz subtil auf und man fragt sich erst Stunden später, ob man eigentlich richtig gehört hat, ein anderes Mal schreit er einen an. Sexismus ist Symptom und Ausdruck sozialer, ökonomischer und politischer Machtgefälle, die sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene wirken. Genau wie andere Diskriminierungsformen auch ist der Sexismus strukturell in den Institutionen, Werten, Normen und Verhaltensweisen unserer Gesellschaft verankert.
Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie alltäglich Sexismus in all seinen Erscheinungsformen ist. Vor allem Frauen und nicht-binäre Personen dürften viele dieser Situationen nur allzu gut kennen.
Vorweg: Es liegt nicht in der Verantwortung der von Sexismus betroffenen Person, diesen durch Verhaltensänderungen oder Ausweichreaktionen zu verhindern, sich dagegen zu wehren oder in jeder Situation einen schlagfertigen Spruch parat zu haben. Verantwortlich für sexistische Verhaltensweisen sind diejenigen, die sie ausüben – sei es bewusst, durch unreflektiertes Handeln entlang stereotyper Rollenzuschreibungen oder aufgrund benachteiligender Strukturen, die nicht hinterfragt werden.
For her
Insbesondere Pflegeprodukte sind oft gegendert – dabei unterscheiden sich meistens nicht die Inhaltsstoffe, sondern lediglich die Verpackungen. Und die Preise. Denn Pflegeprodukte für Frauen sind durchschnittlich teurer als die für Männer. Dieses Phänomen hat den Namen »Gender Pricing« oder »Gender Marketing«.
Your Choice!
Wir können – zumindest innerhalb unserer individuellen ökonomischen Grenzen – entscheiden, welche Produkte in unserem Einkaufswagen landen. Dabei sind geschlechtsneutrale Produkte oft sogar günstiger als ihr unsinnigerweise gegendertes Pendant mit den exakt gleichen Inhaltsstoffen. Manchmal findet man z.B. auch bei den Herrenprodukten ein Produkt mit gleichen Inhaltsstoffen günstiger.
Für die absurdesten Beispiele aus dem Gender-Marketing gibt es sogar einen Negativpreis, den Goldenen Zaunpfahl.
Sex still sells
Egal, ob auf dem Weg zur Arbeit, in Zeitschriften und Zeitungen, im Fernsehen oder im Netz – überall begegnet uns Werbung. Und die ist auch heute noch voller sexistischer Stereotype und sexualisierter Darstellungen meistens weiblicher Körper. Wir werden also permanent mit unrealistischen Rollen- und Körperbildern überschwemmt, die sich – teils unbewusst – in unserem Denken ablagern.
Jährlich rügt der Werberat
Es gibt diverse Beschwerdestellen für sexistische Werbung – allen voran den Deutschen Werberat. Dieser hat 2021 bereits sechs verschiedene Anzeigen aufgrund von Sexismus gerügt. Die Seite pinkstinks.de sammelt auf der Unterseite Werbemelder.in sexistische Entgleisungen.
Mansplaining
Zeit für ein Meeting – Zeit für ein bisschen »Mansplaining«! Dieses Kofferwort aus »man« und »explain« bezeichnet vom zumeist weiblichen Gegenüber als herablassend empfundene Erklärungen eines Mannes, der fälschlicherweise davon ausgeht, mehr über einen Sachverhalt zu wissen als seine Gesprächspartner:innen. Ein weiteres Resultat des »Mansplaining« ist, dass auch die Redeanteile in Besprechungen und Sitzungen häufig sehr unfair verteilt sind.
Au contraire, monsieur!
Mit kritischen Fragen oder einem Hinweis auf das Nichtvorhandensein der unterstellten Wissenslücke lässt sich das »Mansplaining« als das entlarven, was es ist – nämlich Besserwisserei und Selbstdarstellung. Es gibt eine Grenze zwischen einer willkommenen Erklärung und einer aufdringlichen Belehrung. Kommunikationsworkshops können eine gute Methode sein, um das Kommunikationsverhalten innerhalb eines Teams zu reflektieren und zu verbessern – auch hinsichtlich der Redeanteile bestimmter Personen oder Personengruppen.
Quotenfrau
Die »Quotenfrau« ist eine moderne Sagengestalt, in die sich Frauen immer dann verwandeln, wenn sie gerade befördert wurden. Frauen werden dieser Legende nach nicht aufgrund ihrer Qualifikationen befördert, sondern nur, um eine häufig ebenfalls imaginäre Frauenquote zu erfüllen. Über die faktische Männerübermacht in Führungspositionen und Vorständen wird hingegen oft hinweggesehen.
Quotenmann
Lasst uns den Spieß einmal umdrehen. Durch die Geschichte vom »Quotenmann« lässt sich die Absurdität der »Quotenfrau« hervorragend illustrieren: Vielleicht habt ihr bereits vom »Thomas-Kreislauf« gehört? Das zugrundeliegende Prinzip besagt, dass die zumeist männlichen Vorgesetzten am liebsten diejenigen einstellen und fördern, die ihnen ähnlich sind. Thomas (be)fördert also Thomas. So wird die männliche Übermacht in Führungspositionen reproduziert und zementiert. Die Behauptung, dass ein Mann nur eingestellt wurde, weil er ein Mann ist, und nicht, weil er im besonderen Maße für eine Position XY qualifiziert wäre, ist sogar weitaus realistischer als die umgekehrte Behauptung, eine Frau würde nur eingestellt oder befördert, weil sie eine Frau ist. Die Statistiken zu Frauen in Führungspositionen (Anteil 28%, Stand 2020, Quelle) sprechen für sich.
Catcalls
Der sogenannte »Catcall« ist ein Phänomen, dem zumeist weiblich gelesene Personen in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Bei dem »Catcall« handelt es sich um eine Machtgeste von sich stereotyp männlich verhaltenden Menschen, die es gewohnt sind, das Äußere anderer Menschen ungefragt zu kommentieren. Viele Frauen empfinden Catcalling als unangenehm und erniedrigend.
Ohnmacht überwinden
Again: Es liegt nicht in der Verantwortung der von Catcalling betroffenen Menschen, sich vermeidend zu verhalten – das fängt bei der freien Wahl der Kleidung an und hört bei der Möglichkeit auf, Übergriffigkeiten zur Anzeige zu bringen. Wie du reagierst, hängt ganz allein von deinen eigenen Ressourcen ab. Oft kann es helfen, mit Freund:innen über Situationen zu sprechen. In vielen Städten veröffentlichen Aktivist:innen auch die Belästigungen, indem sie die Sprüche mit Kreide auf den Asphalt am Ort des Geschehens schreiben und somit die Öffentlichkeit sensibilisieren. @catcallsofberlin
Rabenmutter
Es ist schon nach 17:00 und das Kind wartet immer noch im Kindergarten oder Hort? Frauen, die sich neben ihrer Mutterschaft auch noch dem Beruf widmen, werden schnell als »Rabenmütter« abgestempelt. Und zu allem Überfluss kommt dann auch noch der Haushalt oben drauf: Nach wie vor schultern Frauen den Löwenanteil der Sorgearbeit, inklusive »Mental Load«, d.h. der emotionalen Last der alltäglichen Verantwortung für die Organisation von Haushalt und Familie sowie Beziehungspflege.
Role Models
Was macht gute Eltern aus? Es ist an der Zeit, verstaubte Ansichten ad acta zu legen. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist komplex, genauso wie die Organisation eines partnerschaftlichen Zusammenlebens. Es ist wichtig, über die Verteilung von Aufgaben zu sprechen und individuelle, möglichst faire Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten funktionieren. Weitere Möglichkeiten, der Überbelastung durch Care-Arbeit vorzubeugen, sind – neben deren Sichtbarmachung – generelle Arbeitszeitverkürzung, Teilzeit und Elternzeit. Davon machen Männer sowohl seltener als auch in weit geringerem Ausmaß Gebrauch als Frauen. (Link zur Quelle)
Angst im Dunkeln
»Schreib mir, wenn du zu Hause bist« – diesen Satz haben fast alle Mädchen und Frauen bestimmt schon einmal gehört. Einer Umfrage zufolge wurde jede fünfte Frau schon einmal belästigt, verfolgt oder bedroht. Insbesondere nachts in Parks, öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße herrscht bei vielen Frauen ein Gefühl der Unsicherheit, welches sich einschränkend auf die subjektive Bewegungsfreiheit auswirkt.
Pfefferspray ist keine Lösung
Wir wollen eine Welt, in der sich alle Menschen, ungeachtet der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften und Merkmale, frei und sicher bewegen können. Wenn ihr im Dunkeln hinter einer Person geht, rückt ihr nicht zu sehr auf die Pelle. Wenn ihr Zeug:in von Belästigungssituationen werdet, zeigt Zivilcourage und schreitet ein oder seid zumindest präsent. Auch in der Städteplanung gibt es Überlegungen, die Sicherheitsbedürfnisse von Frauen stärker zu berücksichtigen. Beim sogenannten »Gender Planning« werden neben Sicherheitsaspekten auch weitere Überlegungen einbezogen, um mehr bauliche Geschlechtergerechtigkeit in den Städten zu schaffen – Frauenparkplätze sind da nur ein erster Schritt.
Gott verhüte!
… und wenn Gott es nicht tut, dann macht es eben die Frau. Verhütung ist meistens Frauensache – was u.a. daran liegt, dass bislang kaum in die Erforschung und Entwicklung von Verhütungsmethoden für Männer investiert wurde. Trotz zahlreicher vielversprechender Ansätze. Der Grund dafür? Männer klagten über schlimme Nebenwirkungen wie Depressionen oder Hitzewallungen. Was sie nicht sagen…
Neue Methoden
Verhütung muss die Sache aller Beteiligten sein – egal, ob in heterosexuellen oder queeren Beziehungen. Eine bessere gesamtgesellschaftliche Aufklärung in puncto Verhütung ist für alle sinnvoll. Der Deutsche Frauenrat fordert beispielsweise einen kostenlosen und niedrigschwelligen Zugang zu nicht-verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln und mehr Investitionen in die Erforschung neuer Verhütungsmethoden – und zwar insbesondere für Männer.
Beispiele aus dem Auswärtigen Amt
Für alle, die immer noch nicht glauben, dass Sexismus ein allgegenwärtiges Problem ist – ob im Büro, auf der Straße oder zu Hause – haben wir in den letzten Monaten eine kleine Sammlung angelegt. Die folgenden Berichte stammen samt und sonders von Mitarbeitenden des Auswärtigen Amts und berichten von sexistischen Vorfällen aus dem AA-Arbeitsalltag. Aus Platz- und Pietätsgründen veröffentlichen wir hier nur einen Bruchteil der uns zugesandten Berichte.