Grundrauschen

Alltagssexismus

Die tägliche Dosis Ungleichheit

Sexismus begleitet unser aller Leben als eine Art »Grundrauschen«. Manchmal tritt er ganz subtil auf und man fragt sich erst Stunden später, ob man eigentlich richtig gehört hat, ein anderes Mal schreit er einen an. Sexismus ist Symptom und Ausdruck sozialer, ökonomischer und politischer Machtgefälle, die sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene wirken. Genau wie andere Diskriminierungsformen auch ist der Sexismus strukturell in den Institutionen, Werten, Normen und Verhaltensweisen unserer Gesellschaft verankert.

Die folgenden Beispiele sollen zeigen, wie alltäglich Sexismus in all seinen Erscheinungsformen ist. Vor allem Frauen und nicht-binäre Personen dürften viele dieser Situationen nur allzu gut kennen.

Vorweg: Es liegt nicht in der Verantwortung der von Sexismus betroffenen Person, diesen durch Verhaltensänderungen oder Ausweichreaktionen zu verhindern, sich dagegen zu wehren oder in jeder Situation einen schlagfertigen Spruch parat zu haben. Verantwortlich für sexistische Verhaltensweisen sind diejenigen, die sie ausüben – sei es bewusst, durch unreflektiertes Handeln entlang stereotyper Rollenzuschreibungen oder aufgrund benachteiligender Strukturen, die nicht hinterfragt werden.

08:30

For her

Insbesondere Pflegeprodukte sind oft gegendert – dabei unterscheiden sich meistens nicht die Inhaltsstoffe, sondern lediglich die Verpackungen. Und die Preise. Denn Pflegeprodukte für Frauen sind durchschnittlich teurer als die für Männer. Dieses Phänomen hat den Namen »Gender Pricing« oder »Gender Marketing«.

Your Choice!
Wir können – zumindest innerhalb unserer individuellen ökonomischen Grenzen – entscheiden, welche Produkte in unserem Einkaufswagen landen. Dabei sind geschlechtsneutrale Produkte oft sogar günstiger als ihr unsinnigerweise gegendertes Pendant mit den exakt gleichen Inhaltsstoffen. Manchmal findet man z.B. auch bei den Herrenprodukten ein Produkt mit gleichen Inhaltsstoffen günstiger.

Für die absurdesten Beispiele aus dem Gender-Marketing gibt es sogar einen Negativpreis,  den Goldenen Zaunpfahl.

11:00

Sex still sells

Egal, ob auf dem Weg zur Arbeit, in Zeitschriften und Zeitungen, im Fernsehen oder im Netz – überall begegnet uns Werbung. Und die ist auch heute noch voller sexistischer Stereotype und sexualisierter Darstellungen meistens weiblicher Körper. Wir werden also permanent mit unrealistischen Rollen- und Körperbildern überschwemmt, die sich – teils unbewusst – in unserem Denken ablagern.

Jährlich rügt der Werberat
Es gibt diverse Beschwerdestellen für sexistische Werbung – allen voran den Deutschen Werberat. Dieser hat 2021 bereits sechs verschiedene Anzeigen aufgrund von Sexismus gerügt. Die Seite pinkstinks.de sammelt auf der Unterseite Werbemelder.in sexistische Entgleisungen.

12:30

Mansplaining

Zeit für ein Meeting – Zeit für ein bisschen »Mansplaining«! Dieses Kofferwort aus »man« und »explain« bezeichnet vom zumeist weiblichen Gegenüber als herablassend empfundene Erklärungen eines Mannes, der fälschlicherweise davon ausgeht, mehr über einen Sachverhalt zu wissen als seine Gesprächspartner:innen. Ein weiteres Resultat des »Mansplaining« ist, dass auch die Redeanteile in Besprechungen und Sitzungen häufig sehr unfair verteilt sind.

Au contraire, monsieur!
Mit kritischen Fragen oder einem Hinweis auf das Nichtvorhandensein der unterstellten Wissenslücke lässt sich das »Mansplaining« als das entlarven, was es ist – nämlich Besserwisserei und Selbstdarstellung. Es gibt eine Grenze zwischen einer willkommenen Erklärung und einer aufdringlichen Belehrung. Kommunikationsworkshops können eine gute Methode sein, um das Kommunikationsverhalten innerhalb eines Teams zu reflektieren und zu verbessern – auch hinsichtlich der Redeanteile bestimmter Personen oder Personengruppen.

13:00

Quotenfrau

Die »Quotenfrau« ist eine moderne Sagengestalt, in die sich Frauen immer dann verwandeln, wenn sie gerade befördert wurden. Frauen werden dieser Legende nach nicht aufgrund ihrer Qualifikationen befördert, sondern nur, um eine häufig ebenfalls imaginäre Frauenquote zu erfüllen. Über die faktische Männerübermacht in Führungspositionen und Vorständen wird hingegen oft hinweggesehen.

Quotenmann
Lasst uns den Spieß einmal umdrehen. Durch die Geschichte vom »Quotenmann« lässt sich die Absurdität der »Quotenfrau« hervorragend illustrieren: Vielleicht habt ihr bereits vom »Thomas-Kreislauf« gehört?  Das zugrundeliegende Prinzip besagt, dass die zumeist männlichen Vorgesetzten am liebsten diejenigen einstellen und fördern, die ihnen ähnlich sind. Thomas (be)fördert also Thomas. So wird die männliche Übermacht in Führungspositionen reproduziert und zementiert. Die Behauptung, dass ein Mann nur eingestellt wurde, weil er ein Mann ist, und nicht, weil er im besonderen Maße für eine Position XY qualifiziert wäre, ist sogar weitaus realistischer als die umgekehrte Behauptung, eine Frau würde nur eingestellt oder befördert, weil sie eine Frau ist. Die Statistiken zu Frauen in Führungspositionen (Anteil 28%, Stand 2020, Quelle) sprechen für sich. 

15:00

Catcalls

Der sogenannte »Catcall« ist ein Phänomen, dem zumeist weiblich gelesene Personen in ihrem Alltag ausgesetzt sind. Bei dem »Catcall« handelt es sich um eine Machtgeste von sich stereotyp männlich verhaltenden Menschen, die es gewohnt sind, das Äußere anderer Menschen ungefragt zu kommentieren. Viele Frauen empfinden Catcalling als unangenehm und erniedrigend.

Ohnmacht überwinden
Again: Es liegt nicht in der Verantwortung der von Catcalling betroffenen Menschen, sich vermeidend zu verhalten – das fängt bei der freien Wahl der Kleidung an und hört bei der Möglichkeit auf, Übergriffigkeiten zur Anzeige zu bringen. Wie du reagierst, hängt ganz allein von deinen eigenen Ressourcen ab. Oft kann es helfen, mit Freund:innen über Situationen zu sprechen. In vielen Städten veröffentlichen Aktivist:innen auch die Belästigungen, indem sie die Sprüche mit Kreide auf den Asphalt am Ort des Geschehens schreiben und somit die Öffentlichkeit sensibilisieren. @catcallsofberlin

17:30

Rabenmutter

Es ist schon nach 17:00 und das Kind wartet immer noch im Kindergarten oder Hort? Frauen, die sich neben ihrer Mutterschaft auch noch dem Beruf widmen, werden schnell als »Rabenmütter« abgestempelt. Und zu allem Überfluss kommt dann auch noch der Haushalt oben drauf: Nach wie vor schultern Frauen den Löwenanteil der Sorgearbeit, inklusive »Mental Load«, d.h. der emotionalen Last der alltäglichen Verantwortung für die Organisation von Haushalt und Familie sowie Beziehungspflege.

Role Models
Was macht gute Eltern aus? Es ist an der Zeit, verstaubte Ansichten ad acta zu legen. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist komplex, genauso wie die Organisation eines partnerschaftlichen Zusammenlebens. Es ist wichtig, über die Verteilung von Aufgaben zu sprechen und individuelle, möglichst faire Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten funktionieren. Weitere Möglichkeiten, der Überbelastung durch Care-Arbeit vorzubeugen, sind – neben deren Sichtbarmachung – generelle Arbeitszeitverkürzung, Teilzeit und Elternzeit. Davon machen Männer sowohl seltener als auch in weit geringerem Ausmaß Gebrauch als Frauen. (Link zur Quelle)

19:00

Angst im Dunkeln

»Schreib mir, wenn du zu Hause bist« – diesen Satz haben fast alle Mädchen und Frauen bestimmt schon einmal gehört. Einer Umfrage  zufolge wurde jede fünfte Frau schon einmal belästigt, verfolgt oder bedroht. Insbesondere nachts in Parks, öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße herrscht bei vielen Frauen ein Gefühl der Unsicherheit, welches sich einschränkend auf die subjektive Bewegungsfreiheit auswirkt.

Pfefferspray ist keine Lösung
Wir wollen eine Welt, in der sich alle Menschen, ungeachtet der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften und Merkmale, frei und sicher bewegen können. Wenn ihr im Dunkeln hinter einer Person geht, rückt ihr nicht zu sehr auf die Pelle. Wenn ihr Zeug:in von Belästigungssituationen werdet, zeigt Zivilcourage und schreitet ein oder seid zumindest präsent. Auch in der Städteplanung  gibt es Überlegungen, die Sicherheitsbedürfnisse von Frauen stärker zu berücksichtigen. Beim sogenannten »Gender Planning« werden neben Sicherheitsaspekten auch weitere Überlegungen einbezogen, um mehr bauliche Geschlechtergerechtigkeit in den Städten zu schaffen – Frauenparkplätze sind da nur ein erster Schritt.

19:30

Gott verhüte! 

… und wenn Gott es nicht tut, dann macht es eben die Frau. Verhütung ist meistens Frauensache – was u.a. daran liegt, dass bislang kaum in die Erforschung und Entwicklung von Verhütungsmethoden für Männer investiert wurde. Trotz zahlreicher vielversprechender Ansätze. Der Grund dafür? Männer klagten über schlimme Nebenwirkungen wie Depressionen oder Hitzewallungen. Was sie nicht sagen…

Neue Methoden
Verhütung muss die Sache aller Beteiligten sein – egal, ob in heterosexuellen oder queeren Beziehungen. Eine bessere gesamtgesellschaftliche Aufklärung in puncto Verhütung ist für alle sinnvoll. Der Deutsche Frauenrat fordert beispielsweise einen kostenlosen und niedrigschwelligen Zugang zu nicht-verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln und mehr Investitionen in die Erforschung neuer Verhütungsmethoden  – und zwar insbesondere für Männer.

Beispiele aus dem Auswärtigen Amt 

Für alle, die immer noch nicht glauben, dass Sexismus ein allgegenwärtiges Problem ist – ob im Büro, auf der Straße oder zu Hause – haben wir in den letzten Monaten eine kleine Sammlung angelegt. Die folgenden Berichte stammen samt und sonders von Mitarbeitenden des Auswärtigen Amts und berichten von sexistischen Vorfällen aus dem AA-Arbeitsalltag. Aus Platz- und Pietätsgründen veröffentlichen wir hier nur einen Bruchteil der uns zugesandten Berichte.

Chef im Vorzimmer: »Frau XY, meine Frau ist derzeit nicht da und ich kann mir ja wohl schlecht Pausenbrote machen. Das wäre lächerlich. Fragen Sie mich doch daher bitte jeden Tag kurz vor der Mittagszeit, was ich essen möchte und bestellen das dann.«

Vakanzen entstehen, weil zu viele Frauen eingestellt werden, die wegen Betreuung von Kindern/ Familienangehörigen dann halt für einige Zeit aussetzen.

Praktikantinnen wurden regelmäßig mit dem Eindecken von Konferenzräumen und anschließendem Abräumen betraut, männliche Praktikanten nie. Eine Praktikantin hat dies angesprochen und von einem männlichen Praktikanten zu hören bekommen, dass er für so einen Mist ja auch kein Praktikum machen würde.

Ein Kollege in der Akademie des Auswärtigen Amtes fragte mich »Und wie stellst du dir das so vor mit Mann und Amt« – Quasi als müsste ich mich irgendwann entscheiden: Mann oder Job.

Frage an männlichen Kollegen: »SIE haben gebacken? Ist Ihre Frau krank? Wie das dann wohl schmeckt…«

Frage des Vorgesetzten an männlichen Kollegen: »Warum stellen Sie einen Antrag für Teleheimarbeit, wenn Sie doch eine Frau haben, die sich um die Kinder kümmert?«

Vorgesetzter zum neuen männlichen Sekretariatsmitarbeiter: »Männer im Vorzimmer? Nennen Sie mich altmodisch, aber ich brauche da schon etwas für’s Auge!«

Ein Kollege fährt Kolleginnen und mir über den Rücken oder packt uns an der Schulter, wenn er sich mit uns unterhält oder an uns vorbeigeht.

Bei einem Empfang in der Residenz wurden meine Kollegin und ich von einem Delegationsmitglied gefragt, ob wir zum Inventar gehören, so nett wie wir aussehen. Alle umstehenden Kollegen haben nur gelacht und den Spruch in den folgenden Tagen auf der Arbeit mehrfach wiederholt.

Die Gattin des Botschafters verschickt eine Mail, um zu selbstgebackenen Kuchenspenden für den Weihnachtsbasar aufzurufen. Die Mail geht nur an die Ehefrauen der männlichen Beschäftigten und an alle weiblichen Beschäftigten der Botschaft. Das soll uns wohl sagen: Kuchenbacken ist Frauensache – egal, ob als Hausfrau oder in Vollzeit berufstätige Frau.

Gönnerhaft werden Frauen von männlichen Kollegen darauf hingewiesen:, »Na, du brauchst dir über deine Karriere ja keine Gedanken zu machen, du wirst ja automatisch befördert, denn du bist ja eine Frau.«

Zu meinem männlichen Kollegen wurde gesagt, dass er keine Umzugstage nehmen brauche. Er habe ja schließlich eine Frau zu Hause, die sich darum kümmern könne und das ohnehin besser als er.

Nachdem ich als Single in ein arabisches Land versetzt wurde, wurde mir gesagt, dass ich mir das gut überlegen solle. Meine Blütezeit sei ja bald vorbei und ich solle nicht so einsam enden wie viele der weiblichen Kolleginnen im Amt.

Als es darum ging, dass eine Person an der Botschaft einen IT-Kurs besuchen sollte, bestimmte der Leiter, dass dies keine der »Damen« machen kann, da Männer ein besseres technisches Verständnis haben und daher geeigneter wären.

Mit einem Kurskollegen hatte ich mal auf einer Party eine kleine Diskussion – seine Argumentation ging dann ganz schnell unter die Gürtellinie und ihm fiel nichts anderes ein, als zu sagen: »Du bist doch auch nur untervögelt.«

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